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FRIEDENSABKOMMEN
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Schweizer Geschichte

Das Friedensabkommen in der schweizerischen Metall- und Maschinenindustrie 1937

Das so genannte Friedensabkommen zwischen den Gewerkschaften und dem Arbeitgeberverband in der Metallindustrie von 1937 markierte den Durchbruch in den erstarrten Fronten des Klassenkampfes und bereitete den Weg zu der heute vielleicht als allzu selbstverständlich betrachteten Sozialpartnerschaft.

Noch in den 1920'er Jahren schien die Kluft zwischen den Industriellen und der Arbeiterschaft, aber auch zwischen sozialistischen und christlichen Gewerkschaften unüberbrückbar,im "Klassenkampf" wurde mit harten Bandagen gefochten. In den Industrieländern bestand eine starke Tendenz zu staatlichen Interventionen in der Wirtschaft. "Rechtsextreme Organisationen wie auch viele Katholisch-Konservative strebten eine berufsständische beziehungsweise korporative Ordnung der Wirtschaft an, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Berufsorganisationen zusammenfassen sollte. «Der letzte Zweck des korporativen Gedankens», so formulierte es Jakob Lorenz, Führer des frontistischen Aufgebotes und eifrigster Schweizer Propagandist des Ständestaates, «ist die Ersetzung des Klassenkampfes durch die organisierte Verständigung in der sozialen Korporation unter Mithilfe der staatlichen Autorität.» Die Verfechter des Ständestaates genossen päpstliche Unterstützung. In seiner Enzyklika «Quadragesimo anno» vom 15. Mai 1931 propagierte Papst Pius XI. - inspiriert vom faschistischen Modell Italiens - die berufsständische Ordnung als das «gesellschaftspolitische Ziel» Alle politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Organisationen der Schweizerischen Katholisch-Konservativen bemühten sich in den folgenden Jahren um die Einführung der ständestaatlichen Ordnung. Der prominenteste Vertreter war der Zuger Philipp Etter, dessen Wahl zum Bundesrat anno 1934 die Frontisten begrüssten." (Stutz Hans, Frontisten und Nationalsozialisten in Luzern 1933-1945, S. 14).

Die faschistischen Diktaturen Hitlers in Deutschland und Mussolinis in Italien höhlten die Handels- und Gewerbefreiheit aus und griffen tief ins Wirtschaftsleben ein: "Den Unternehmen im Dritten Reich wurde vorgeschrieben, was und wieviel sie zu welchem Preis zu produzieren hatten." (Humbel Kurt, Treu und Glauben, S. 43) Selbst die USA führten eine staatliche Zwangsschlichtung bei Lohnstreitigkeiten ein. (Humbel, a.a.O., S. 44) So erliess auch der schweizerische Bundesrat 1936 einen Beschluss "über ausserordentliche Massnahmen betreffend die Kosten der Lebenshaltung" (staatliche Preiskontrolle und schiedsgerichtliche Entscheidung von Lohnstreitigkeiten; Humbel, a.a.O., S. 44)

Dieser Vormarsch faschistischer Bewegungen und ständestaatlicher Ideen in Europa bereitete in den 1930'er Jahren den Boden für ein Umdenken der Linken in der Schweiz: Sozialdemokraten und Gewerkschaften rückten vom Klassenkampf ab und schlugen versöhnlichere Töne an. 1937 ergriff Nationalrat Konrad Ilg (1877-1954, Präsident der grossen Gewerkschaft "Schweizer Metall- und Uhrenarbeiterverband SMUV") die Initiative, sondierte mit Bundesrat Hermann Obrecht (Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes, früherer Verwaltungsratspräsident verschiedener Firmen der Metall- und Uhrenbranche) die Gesprächsbereitschaft der Arbeitgeber und traf sich dann unter vier Augen mit Ernst Dübi (1884-1947, Präsident des "Arbeitgeberverbandes schweizerischer Maschinen- und Metall-Industrieller ASM"). Ilg schätzte angesichts der politischen Kräfteverhältnisse (die Arbeiter machten nur rund einen Viertel der Bevölkerung aus), und des herrschenden Zeitgeistes (in ganz Europa verbreiteter Hang zu Autoritätsgläubigkeit, "Ruhe und Ordnung") die Erfolgsaussichten von Streiks eher gering ein und fürchtete, längere Streiks könnten rechtsextremen Kräften Auftrieb geben und damit den Linken mehr schaden als nützen. Er brauchte allerdings einiges an Überzeugungskraft, um innerhalb der Gewerkschaften eine knappe Mehrheit für diese Position zu gewinnen.

Kurz vor dem Abschluss des Abkommens drohte ein Lohnstreit bei der grössten ASM-Firma Sulzer in Winterthur alles zu gefährden. Ilg plädierte für Verhandlungen, eine Mehrheit von 74,5% der Sulzer-Arbeiter für Streik (für den Streikbeschluss wären 75% nötig gewesen, es fehlten nur 13 von 2679 Stimmen! Die Verbandsspitzen von ASM und SMUV intervenierten. Eine neuerliche Betriebsversammlung ergab 1150 Stimmen für ein Schiedsgerichtsverfahren, 1038 Stimmen für Streik. Am 19. Juli 1937 wurde das Abkommen vom ASM und den vier Gewerkschaften SMUV (60'000 Mitglieder), CMV (5'000 Mitglieder), SVEA und LFSA (639 Mitglieder in der Metall- und Uhrenindustrie) unterzeichnet.

Das zunächst auf zwei Jahre befristete "Friedensabkommen" sah in einer Einleitung und 9 Artikeln folgende Punkte vor (zusammengefasst):
  1. Regelung wichtiger Streitigkeiten nach Treu und Glauben,
    Verzicht auf jegliche Kampfmassnahmeen wie Streik und Aussperrung
  2. Schaffung von Arbeiterkommissionen in allen Betrieben, Konfliktlösungen sollen in erster Linie auf Betriebsebene gesucht werden.
  3. In strittigen Fragen Schlichtung durch Verbandsinstanzen:
    a) allgemeine Lohnänderungen (unter Ausschluss der Lohnformen und Lohnverabredung gemäss Art. 330 OR, für die weiterhin individuelle Dienstverträge gelten sollen d.h. keine Einführung von Mindest- Durchschnitts- oder Tariflöhnen)
    b) Mehrarbeit
    c) eine allfällige Einführung des Bedaux-Systems
  4. Schaffung einer gemeinsamen Schlichtungsstelle
  5. Zusammensetzung der Schlichtungsstelle aus "einem mit richterlicher Unabhängigkeit ausgerüsteten Vorsitzenden und zwei Unparteiischen"
  6. Zweistufiges Vermittlungsverfahren mit Vermittlungsvorschlag und notfalls Schiedsspruch
  7. Besondere Schiedsstelle bei Lohnänderungen
  8. Wahrung der Koalitionsfreiheit (Zugehörigkeit zu einem Berufsverband)
  9. Hinterlegung einer Kaution durch beide Parteien bei der Nationalbank und Vereinbarung einer Konventionalstrafe bei Vertragsbruch
  10. Befristung des Abkommens auf 2 Jahre
(nach Humbel, a.a.O., S. 108 ff., Originaldokument im Internet)

Interessant ist das Prinzip von "Treu und Glauben" insofern, als dieser alteidgenössische Grundsatz heute etwas aus der Mode gekommen ist - was in allerjüngster Zeit zu einer grossen Vertrauens- und Imagekrise bei der Wirtschaft geführt hat.

Das in Art. 2 erwähnte Bedaux-System war eine vom Franzosen Charles E. Bedaux in den USA entwickelte so genannt "wissenschaftliche" Methode, die individuelle Arbeitsleistung in der Industrieproduktion zu messen. Sie wurde um 1930 bei vielen grossen Firmen in den USA eingesetzt, ihre Einführung führte 1931 zu erbitterten Streiks in Grossbritannien. Mit Art. 2 waren also offenbar keine Verhandlungen über konkrete Stundenlöhne, Mindestlöhne usw. gemeint, sondern es ging um die Mitsprache der Gewerkschaften bei der Ausgestaltung der grundlegenden Systeme, mit denen die Leistung der ArbeiterInnen gemessen werden sollten und um die Regelung der angesichts des drohenden Krieges absehbaren Überstunden.

Vorteile für die Gewerkschaften Gemeinsame Vorteile Vorteile für die Arbeitgeber
Anerkennung der Gewerkschaften als gleichwertige Verhandlungspartner Abwehr der staatlichen Zwangsschlichtung keine sofortigen materiellen Leistungen
Verbesserte Stellung der Arbeiter und der Arbeiterkommissionen im Betrieb selbstständiges Schiedsverfahren (vorerst noch) keine gesamtarbeitsvertraglichen Bindungen
Imagegewinn für die Gewerkschaften (beweisen, dass sie im Gesamtinteresse des Landes handeln) Verständigungswille auf der Basis von "Treu und Glauben" erhöht das Ansehen beider Seiten Verhandlungshoheit über Löhne bleibt bei den einzelnen Firmen
Verhandlungen bringen mehr als Streiks Streiks sind teuer (Streikkassen und Ersparnisse der Arbeiter, Produktionsausfälle für die Firmen) Arbeitsfriede ermöglicht ungestörte Abwicklung der Produktion
Beitrag zum inneren Frieden und Stärkung der bedrohten Demokratie
(nach Humbel, a.a.O., S. 52)

Das Friedensabkommen war kein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) und wurde auch in keiner anderen Branche übernommen. Immer wieder verlängert, bewährte es sich besser als mancher GAV. Auch war in den ersten 25 Jahren der Einsatz einer Schlichtungsstelle nur in wenigen Ausnahmefällen nötig und die Schiedsstelle nach Art. 6 gar nie.(nach Humbel, a.a.O., S. 88)

1958 kam es auch zu einem Vertrag zwischen dem Verband der Angestelltenverbände der Maschinen- und Metallindustrie (VSAM), der die Büroangestellten sowie die unteren und mittleren Kader vertritt, und dem Arbeitgeberverband ASM. (Angestelltenabkommen). 1963 wurde die 44 Stunden-Woche und der Teuerungsausgleich eingeführt, 1969 die betriebliche Altersvorsorge (Pensionskassen) verbessert.







Literatur und Links zum Friedensabkommen in der schweizerischen Metall- und Maschinenindustrie



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